3. Mai 2020
An diesen wichtigen Aspekt denken wir mit besonderer Innigkeit, wenn wir, wie in den letzten Tagen geschehen, den Verlust eines wunderbaren, geliebten Menschen zu beklagen haben.
Die klassischen Kulturen des Mittelmeerraums zeigen in den auf uns gekommenen Zeugnissen keine Tendenz zur Verdrängung des Todes. Im Gegenteil, die Mehrzahl der Bildwerke der Griechen, Etrusker und Römer haben direkt oder indirekt den Tod des Menschen zum Gegenstand. Diese Bilder mochten vor Hybris (Größenwahn, Frevel) warnen und zur Tugend mahnen, vor allem aber sollen sie Trost spenden, indem sie deutlich vor Augen führen, dass man mit seinem Schmerz nicht allein ist.
Bereits die frühesten griechischen Vasen des 8. Jahrhunderts v. Chr. zeigen häufig die Aufbahrung (Prothesis) eines Verstorbenen, meist umgeben von zahlreichen Klageweibern: kein Wunder, waren diese Gefäße doch vor allem Grabbeigaben.
250 Jahre später, circa 510 v. Chr. wurde in einer herausragenden Athener Werkstatt die aus heutiger Sicht wohl berühmteste griechische Vase überhaupt gefertigt, jedenfalls eines der wertvollsten Kunstwerke der Welt überhaupt: der Euphronios-Krater.
Es handelt sich um einen sogenannten Kelchkrater, einen Mischkrug von 45 cm Höhe von der Hand des Malers Euphronios, der sein Werk in der damals ganz modernen Rotfiguren Technik bemalt und es sogar signiert hat. Außerdem hat er alle dargestellten Personen mit entsprechenden Beischriften versehen, sodass kein Zweifel darüber besteht, wer wer ist.
Wir erleben eine durch Homers Ilias berühmte Szene des trojanischen Krieges, die auf den Tod des lykischen Fürsten Sarpedon folgt. Dieser war einer der wichtigsten Alliierten der Trojaner und fiel im Kampf gegen den griechischen Helden Patroklus, den engsten Freund und Liebling des Achill. Die Götter lieben Sarpedon so sehr, dass Apollo und Hermes auf den Plan treten und seinen Leichnam durch Hypnos (der Schlaf) und Thanatos (der Tod) in seine Heimat Lykien an der Südküste von Kleinasien bringen lassen.
Unsere Vase zeigt den Beginn dieser Aktion, die Hermes (in der Mitte) als der für alle Reisen und Transporte zuständige Gott überwacht. Die Bergung des Toten durch den Schlaf (links) und seinen Bruder, den Tod (rechts) – man denkt an den Roman „Schlafes Bruder“ von Robert Schneider – zählt zu den berührendsten Mythen der Hellenen, und so hat es zweifellos auch der vermögende Etrusker aus Caere/Cerveteri nördlich von Rom empfunden, der dieses für uns einmalige Stück damals aus Athen erworben und in sein Grab mitgenommen hat: weil er im Jenseits ein standesgemäßes Symposionsgeschirr benötigte, aber auch weil unser Bild ihm wohl schon zu Lebzeiten Quelle des Trostes und der Hoffnung war.
In dem etruskischen Grab ruhte diese Vase dann fast 2500 Jahre lang in Frieden, bevor sie im Zuge klandestiner Ausgrabungen Anfang der 70er Jahre gefunden und in die USA verbracht wurde, wo sie gut 30 Jahre lang zu den Glanzstücken des Metropolitan Museum in New York zählte. Die italienische Regierung wollte indessen den Verlust eines derartig bedeutenden Kunstwerkes nicht hinnehmen und betrieb jahrelang eine unerbittliche diplomatische, gerichtliche und mediale Kampagne, um das Stück zurückzubekommen, was schließlich tatsächlich gelang. Der Euphronios-Krater ist heute im archäologischen Museum in seiner „Heimatstadt“ Cerveteri zu bewundern.
Wenden wir uns nunmehr der römischen Welt zu:
Wir sehen hier den Mittelteil eines Marmor-Sarkophags des 2. Jahrhunderts n. Chr. aus dem Museum von Ostia Antica unweit von Rom. Thema ist auch hier der Tod eines Helden, nämlich genau desjenigen, der, wie wir oben gesehen haben, Sarpedon getötet hat, nämlich Patroklus. Er ist seinerseits dem tapfersten trojanischen Helden, Hektor, zum Opfer gefallen und wurde auf einem Bett im Lager der Griechen aufgebahrt. Sein bester Freund, Achilles, der größte aller Helden, beweint ihn (rechts) in maßlosem Schmerz. Jeder gebildete Römer kannte diese Szene aus Homers Ilias und auch die schicksalshaften Folgen für den weiteren Verlauf des trojanischen Krieges. Die Familie des Inhabers dieses Sarkophags konnte sich mit dem bittren Schmerz des Achill über den Verlust des Freundes identifizieren und aus diesem Bild Trost schöpfen. Dies umso mehr, als manche Versionen des Mythos erzählen, sowohl Patroklus als auch Achilles sei von den Göttern die Unsterblichkeit geschenkt worden.
Als drittes und letztes Bild ein ganz anders gearteter Marmor-Sarkophag, ebenfalls aus dem wunderschönen Museum in Ostia Antica, der wohl um 200 n. Chr. in Griechenland entstanden ist. Die Vorderseite zeigt den ausgelassenen, ritualisierten Umzug der berauschten Jünger des Gottes Bacchus, einen sogenannten Komos, nur sind hier nicht wie üblich Erwachsene in diese ekstatischen Umtriebe verwickelt, sondern Eroten, also pausbäckig-rundliche Putten. Alles ist hier in Bewegung, es geht laut und ausgelassen zu: Doppelflöte, Lyra und Timpanon werden gespielt, dazu wird getrunken, gesungen, gejauchzt und geschrien; selig taumeln die trunkenen Putten unter der festlichen Girlande dahin. Diesen dionysischen Freudenrausch ersehnte der Grabinhaber aus Ostia zweifellos auch für sich und die Seinen nach dem Ende ihrer Erdenlaufbahn. Zuversicht und Trost also auch auf diesem zauberhaften Bild. Wie gerne würde ich wieder einmal – mit Euch – durch das Museum in Ostia Antica wandern…!